METIS

Auszüge aus dem Buch Byron Katies The Work

Inhalt

Ein faszinierendes Werkzeug
1. Was ist The Work?
Einführung
Der Drängler auf der Autobahn
Die Liebe zur Wahrheit
Das Geheimnis von The Work – kleine Schritte
Goldmann-Verlag: Byron Katies The Work Der Verstand fragt, das Herz antwortet
Drei Arten von Angelegenheiten
Die Magie der Umkehrung
Wir spiegeln uns im anderen
Dem eigenen Denken mit Verständnis und Liebe begegnen
The Work ist eine Erfahrung
Der Fragebogen zu The Work of Byron Katie
Fragen und Antworten
Der Schlüssel zu The Work of Byron Katie
Der große Witz – die Nr. 6
Meine Tochter beging Selbstmord
Die Angst vor der Zukunft
Ein Geldproblem
Ein Beziehungsproblem
The Work und Gott?
Ich bin wütend auf Gott

3. Das höchste Gebot: Realität
Realität ist das höchste Gesetz: Was ist, ist.
Eine schwere Krankheit
Der Verlust der Aufmerksamkeit
Ich habe ein Problem mit meiner Geschäftspartnerin
Die Funktion des Leidens
Mißstände auf diesem Planeten
Ich hasse meine Mutter
Die Pole des Lebens und des Seins
Haben Sie Kinder?
Meine Tochter will nicht gesund essen

4. Wer ist Byron Katie?
Meine erste Begegnung mit Byron Katie
Byron Katies Geschichte
Erleuchtung
Wie entstand The Work?

5. Wer bin ich?
Im Feuer
Michael – HIV-positiv
Ein schwerer Schlag
Göttliches Gelächter
Der Schatz in der Wüste
Ehrliche Kommunikation

6. Helfen mit The Work – aber wie?
Niemand braucht Heilung
The Work ist Liebe
Weitere Fragen und Antworten
Ist es wahr?
The Work in der Partnerschaft
The Work in der Gruppe

7. Weitere Themen
Die böse Nachbarin
Mein Chef erkennt meine Leistungen nicht an
Ich will keinen Sex
Ich will Sex
Mein Partner nimmt Drogen
Die Identifikation mit dem Körper
Ist da jemand?

8. Das Ende des Leidens

9. Übungen
Glossar
 

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Ein faszinierendes Werkzeug

Bei den Recherchen zu diesem Buch hielt ich mich für einige Zeit im Zentrum der Amerikanerin Byron Katie Rolle in Barstow/Kalifornien auf. Es war die Zeit, als gerade ein Certification Training abgehalten wurde, das u.a. dazu dient, Menschen auszubilden, die The Work in ihrem Beruf oder anderweitig professionell anwenden wollen, auch um Geld damit zu verdienen.
Am letzten Tag dieses Trainings traf ich eine Autorin, die plant, die Methode The Work in ihr neuestes Buch über Partnerbeziehungen aufzunehmen. Spontan bat ich sie um einen Bericht, den ich hier wiedergebe:

Als ich zu diesem Training kam, wußte ich absolut nichts über The Work. Eigentlich hatte ich auch gar keine Zeit, weil ich meiner Tochter versprochen hatte, mit ihr zum Wintersport zu fahren – aber als ich am Telefon mit der Organisatorin des Trainings sprach und ihr das sagte, fragte sie mich: Ist das wahr, daß Sie keine Zeit haben?, und ich antwortete: Ich denke, es ist wahr! Dann sagte sie: Können Sie wirklich wissen, daß es wahr ist, daß Sie keine Zeit haben? Auf der einen Seite irritierten mich diese Fragen ein wenig, auf der anderen Seite fühlte ich, daß da etwas war, das ich erforschen wollte. Dann rief ich meine Tochter an und fragte sie, ob sie etwas dagegen hätte, wenn ich nicht mit ihr käme. Ich war sehr erstaunt, daß sie spontan meinte: Wenn es für dich wichtig ist, warum tust du es nicht? Ich komme ganz gut allein zurecht.
Zu Beginn fragte mich Byron Katie, warum ich gekommen sei, und ich erzählte ihr, daß mein siebzehnjähriger Sohn vor 15 Jahren zusammen mit seinem Cousin einen Autounfall hatte, bei dem beide in ihrem Wagen verbrannten. Mein Sohn trug nur einen Zweipunktgurt und prallte gegen die Windschutzscheibe, ich weiß also nicht, ob er noch lebte, als der Wagen explodierte, aber sein Cousin verbrannte bei lebendigem Leib, er hatte nur zwei gebrochene Rippen.
Diese Tragödie hatte mein Leben total verändert, sie beschäftigte mich Tag und Nacht, sie beeinflußte meine anderen Kinder, meine ganze Familie. Mein Mann und ich, wir litten seit 15 Jahren; wann immer jemand den Namen meines toten Sohnes aussprach, mußte ich den Raum verlassen, ich litt unter Depressionen, ich konnte nur schwer darüber sprechen, ich versuchte alles aus meinem Leben auszuschließen, was mich an diese schreckliche Geschichte erinnerte.
Nun muß man dazu wissen, daß ich selbst in klinischer Neuropsychiatrie und Trauerarbeit ausgebildet bin, daß ich mit Hinterbliebenen gearbeitet und sogar Artikel über Verlust und Tod geschrieben hatte. Ich war also eigentlich sehr intensiv auf einen solchen Schicksalsschlag vorbereitet; dennoch empfand ich die Last meiner Geschichte als schier unbezwingbar.
Dann begann ich mit The Work. Nach zehn Tagen, wenn mich jemand fragte: Ist die Geschichte mit deinem Sohn wahr?, konnte ich nicht einmal eine ehrliche Antwort geben, ich wußte nicht, ob es wirklich wahr war oder nicht. Selbst wenn ich jetzt darüber nachdenke – ich weiß nicht, ob es wirklich wahr ist. Die Geschichte hat ihre Macht über mich verloren.
Also – wenn es mir gelingen konnte, dieses Drama meines Lebens aufzulösen, dann kann ich mit dieser Methode The Work jede Geschichte in meinem Leben auflösen, was auch immer es ist. Für mich ist das jedenfalls eine große Offenbarung. Wenn ich nach Hause komme, werde ich kein Problem mehr mit dem Tod meines Sohnes haben. Und ich werde zu niemandem sagen: Hey, wißt ihr, was mit mir passiert ist?, denn das wäre eine neue Geschichte. Also – ich hoffe, daß dies hier das letzte Mal ist, daß ich über diese Sache spreche, und ich tue es nur, weil andere einen Nutzen davon haben könnten.
O ja, es fühlt sich gut an, das so zu erzählen: Ich kenne da eine Person, die eine Erfahrung hatte – denkt sie! (Lachen)
Dies hat The Work für mich getan. Vorher hatte ich gedacht, ich müßte Teil dieses Dramas sein und mit dieser Geschichte für immer leben. Aber jetzt fühle ich mich absolut wunderbar, es fühlt sich an, als hätte ich mich von einer Zentnerlast befreit, die ich dauernd mit mir herumschleppte. Es fasziniert mich, daß The Work wirklich ein Werkzeug ist, das solche enormen Wirkungen haben kann.

Ich selbst, der Autor dieses Buches, hatte zwar keine derartige traumatische Erfahrung vorzuweisen, aber auch ich fand für mich heraus, daß ich etwas tun konnte, wo ich vorher nur frustriert war.
Ich lebte beispielsweise jahrelang von der Mutter meines Kindes getrennt und alles, was von einer einst funktionierenden Beziehung übriggeblieben war, war Kampf, Krampf und eine ständige Quelle von Ärger und Frustration. Ich hatte noch einen Teil meiner Sachen im Keller ihres Hauses geparkt und zögerte das Ausräumen dieses Kellers über ein Jahr lang hinaus, nur um nicht mit den schmerzenden Wunden aus dieser Beziehung konfrontiert zu werden.
Nach The Work hierüber erfuhr ich augenblickliche Erleichterung und war sehr erstaunt, daß ich mich nicht nur ohne Ressentiments im Haus meiner ehemaligen Freundin aufhalten, sondern daß ich auch wieder liebevoll mit ihr kommunizieren konnte.
Des weiteren hatte sich unsere schlechte, um nicht zu sagen nicht mehr existierende Beziehung auch auf meine kleine Tochter ausgedehnt – das ging so weit, daß diese zeitweise nicht einmal mehr mit mir sprechen wollte. Nach The Work verbesserte sich unser gegenseitiges Verhältnis so weit, daß meine ehemalige Lebenspartnerin mich sogar selbst um eine Sitzung bat. (Inzwischen macht sie selbst The Work.)
Das wirkliche Wunder für mich ist, daß nur je eine halbe Stunde Arbeit über Mutter und Tochter diese Veränderung bewirken konnten.

Natürlich zahlte sich hierbei auch aus, daß ich die kleine Übung auch sonst in meinem Leben anzuwenden begann und daß sich das immer mehr auch auf andere Lebensbereiche auswirkte – zum Beispiel auf meine Gesundheit: Wegen eines zu hohen Blutdrucks hatte mir der Arzt Betablocker verschrieben, die ich von Zeit zu Zeit abzusetzen versuchte, was mir aber nicht gelang. Nachdem ich The Work etwa sechs Wochen geübt hatte, normalisierte sich mein Blutdruck und hat sich seitdem nicht verändert.
Auch vielen Menschen in meiner Umgebung konnte ich mit The Work helfen.
Vor kurzem arbeitete ich mit einer Frau, die sich mit 46 Jahren in den Wechseljahren wähnt und depressiv ist, voller quälender Gedanken über ein verpfuschtes Leben und eine düstere Zukunft. Spät abends fand ich einen Anruf auf meinem Anrufbeantworter, der mir zeigte, daß sie neue Hoffnung schöpfen konnte, daß sie wieder Licht sieht. Ich hatte nichts getan, als ihr die Fragen zu stellen. Sie mußte nichts an sich ändern. Sie hatte aber noch am selben Tag entdeckt, daß sich ihre Haltung dem Leben gegenüber wie von selbst geändert hatte und damit auch ihr Verhalten, ihre Ausstrahlung und damit wohl auch das Verhalten ihrer Mitmenschen, über das sie sich vorher geärgert hatte.

Bevor Sie nun weiterlesen, möchte ich Ihnen ans Herz legen, daß The Work eine praktische Methode ist, die auch ohne theoretische Erläuterungen auskommt und funktioniert. Wann immer Sie Lust haben, können Sie sie ausprobieren – die Innenseiten des Umschlags zeigen alles, was Sie hierzu brauchen.

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1. Was ist The Work?

Einführung

Es gibt viele Möglichkeiten, einen Zugang zu dieser neuen und doch uralten Methode The Work zu finden, und ich hatte in den ersten Versionen dieses Buches den Fehler gemacht, zu viele Aspekte auf einmal hineinzupacken. Dann wurde mir klar, daß man – wie von einem Berggipfel aus – erst dann alle möglichen Wege überblicken kann, wenn man einen von ihnen gegangen ist. Da C.G. Jungs Psychologie vielen Menschen unsere Kultur vertraut ist, habe ich versucht, diesen relativ schmalen Pfad zu wählen. Wenn Sie den eher praktischen Zugang lieben, überspringen Sie doch bitte die kurze Passage.

In seinem Buch Aion – Beiträge zur Symbolik des Selbst prägt C.G. Jung den Begriff des Schattens, eines Archetypus des Unbewußten. Dieser repräsentiert für ihn die dunkeln Aspekte der Persönlichkeit, die man nur schwer erkennen kann, da sie der moralischen Kontrolle beträchtlichen Widerstand entgegensetzen. Dieser Widerstand wiederum ist verknüpft mit Projektionen, die als solche nicht erkannt werden und deren Erkenntnis eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende moralische Leistung bedeutet ... denn der Grund zur Emotion scheint ohne allen Zweifel beim anderen zu liegen. Für den objektiven Beobachter mag es noch so offenkundig sein, daß es sich um Projektionen handelt ... man muß schon überzeugt sein, daß man auch gelegentlich unrecht haben könnte, um gewillt zu sein, emotional betonte Projektionen vom Objekt abzulösen.
Jung führt dann weiter aus, wie sehr der Mensch sich von seiner Umwelt entfremden kann und eine nur mehr illusionäre Beziehung zu derselben unterhält.
Und im folgenden heißt es: Es ist oft tragisch zu sehen, auf wie durchsichtige Weise ein Mensch sich selber und anderen das Leben verpfuscht, aber um alles in der Welt nicht einsehen kann, inwiefern die ganze Tragödie von ihm selber ausgeht und von ihm selber immer wieder aufs neue genährt und unterhalten wird.
Im nächsten Kapitel über die Archetypen Animus und Anima wird weiter auf die Projektionen eingegangen; Jung stellt die Forderung auf, daß man dieselben auflösen müsse, weil es heilsamer und in jeder Hinsicht vorteilhafter sei, aber er ist sich im klaren, daß er damit Neuland betritt. Einige Absätze weiter scheint er aber in dieser Hinsicht zu resignieren, indem er sagt, dies zu verlangen sei etwa so, als ob man einem ordentlichen Durchschnittsbürger zumuten wollte, er müsse einsehen, daß er ein Verbrecher sei.
Leider hat C.G. Jung diese Gedankengänge nie konsequent weiterverfolgt und erst recht keine Methode publiziert, wie man den Schatten oder gar Animus und Anima in sich selbst erkennen könne und die damit verbundenen Projektionen aufzulösen seien. Der Begriff Schatten im Sinne C.G. Jungs taucht bei späteren Autoren wieder auf, so z.B. bei Ken Wilber und Thorwald Dethlefsen/Ruediger Dahlke; die letzteren schreiben in ihrem Buch Krankheit als Weg: Als Schatten bezeichnen wir also die Summe aller abgelehnten Wirklichkeitsbereiche, die der Mensch bei sich selbst nicht sieht oder nicht sehen will und die ihm daher unbewußt sind.*)
Wir erleben unseren Schatten immer als Außen – würden wir ihn in und bei uns sehen, wäre er nicht länger der Schatten. Die abgelehnten, nun scheinbar von außen auf uns zukommenden Prinzipien bekämpfen wir jetzt im Außen genauso leidenschaftlich, wie wir es in uns getan haben.
Der Schatten macht krank – die Begegnung mit dem Schatten heil! Dies ist der Schlüssel zum Verständnis von Krankheit und Heilung.
Dethlefsen/Dahlke verfolgen über viele Seiten diese und ähnliche Gedanken, von denen ich hier nur einige wiedergeben konnte, der geneigte Leser möge diese vielleicht bei Gelegenheit einmal nachlesen.
Auf jeden Fall fehlt aber bei den genannten Autoren eine Methode, die gewonnenen Erkenntnisse praktisch anzuwenden. Nach meiner Erfahrung gehört das zugrunde liegende Wissen beim psychologisch oder esoterisch gebildeten Leser zwar irgendwie zum geistigen Allgemeingut, eine praktische Auswirkung hatte das aber – zumindest kann ich das von mir selbst sagen – kaum oder gar nicht.
Als ich von der Zeitschrift Connection eingeladen wurde, über einen Workshop der Amerikanerin Byron Katie zu schreiben, war mir zwar noch nicht klar, daß die dort präsentierte Work*) genau diese fehlende Methode sein könnte, aber bei intensiverer Beschäftigung wurde dies sehr schnell deutlich:

Eine Teilnehmerin dieses Workshops, ich nenne sie Michaela, hatte in ihrem Fragebogen unter anderem geschrieben: Meine Freundin ruft mich nicht an, sie ist mir böse. Sie sollte mich anrufen. Sie mußte aber zugeben, daß sie selbst ihre Freundin ja auch nicht anrief. Sie glaubte, die Freundin sei böse und riefe deshalb nicht an, aber in Wirklichkeit war sie selbst böse, wenn auch mit einem ihrer Meinung nach guten Grund. Hingegen konnte sie gar nicht wissen, ob ihre Freundin wirklich böse war und ob sie nicht andere Gründe hatte, nicht anzurufen.
Die Umkehrung jedoch – und das ist nichts anderes als der Schatten – war wahrer als die ursprüngliche Aussage: Ich rufe meine Freundin nicht an, ich bin ihr böse. Ich sollte sie anrufen.

Nun besteht die Methode The Work nicht nur in einer simplen Umkehrung; das wäre zu einfach und hätte dann wohl auch nicht die frappante Wirkung. Nein – nachdem man seine urteilende Behauptung aufgestellt hat, stellt man zunächst vier Fragen:

1. Ist es wahr?

Zunächst lasse ich meinem Ärger freien Lauf und sage. Ja, es ist wahr. Meine Freundin ruft nicht an, sie ist mir böse, sie sollte mich anrufen.

Die zweite Frage lautet:

2. Kann ich wirklich wissen, daß das wahr ist?

Nein, ich kann nicht hundertprozentig wissen, ob sie böse auf mich ist, ich kann auch nicht wirklich wissen, ob es das beste für uns beide wäre, wenn sie mich anriefe. Sie mag ihre Gründe haben.

Die dritte Frage lautet:

3. Wie reagiere ich, wenn ich diesen Gedanken denke?

Nun – negativ über jemanden zu denken, bedeutet immer Schmerz; ich fühle mich getrennt von dieser Person, ich säe Unfrieden mit meiner Aussage, ich konzentriere mich auf das Ungute und bilde es in mir ab, ich nehme im gleichen Augenblick nicht wahr, was sich um mich herum abspielt – insbesondere das Positive. Eine solche Haltung überträgt sich auf alles um mich herum. Selbst wenn meine Freundin mich nun anruft, bin ich ungehalten und mache ihr Vorwürfe.
Wenn ich an der schmerzhaften Überzeugung festhalte, sie hätte mich gefälligst anzurufen, dann mache ich mich zum Opfer, beschäftigte mich mit ihren Angelegenheiten und vergifte unnötig mein Leben.
Insgesamt kann ich keinen Grund finden, warum ich an dieser Aussage über meine Freundin festhalten sollte, jedenfalls keinen, der mir Vorteile bringt und unserer Beziehung nicht schadet.

4. Wer wäre ich, wie ginge es mir ohne diese Überzeugung?

Ich wäre frei, würde mich auf meine eigenen Angelegenheiten konzentrieren, hätte ein viel besseres Gefühl meiner Freundin gegenüber – ich kann geradezu spüren, wie sich etwas in mir löst, entkrampft.
Ich schließe die Augen und stelle mir meine Freundin vor und was sie gerade tut. Da ich nichts von ihr in diesem Moment erwarte, sehe ich, daß sie mit für sie wichtigen Dingen beschäftigt ist und daß ich sie liebe. Wenn sie mich doch anruft, freue ich mich und bin liebevoll zu ihr, aber wahrscheinlich werde ich sie nun anrufen und sie fragen, ob ich irgendetwas für sie tun kann. Ich werde ihr sagen, daß sie meine beste Freundin ist.

Michaela hatte in ihrem Fragebogen noch viele negative Behauptungen über ihre Freundin aufgestellt, und keine davon erwies sich als haltbar. Wenn sie sich intensiv fragte: Kannst du wirklich wissen, daß das wahr ist?, dann kam stets heraus, daß sie sich auf Aussagen von anderen verlassen hatte, daß sie gemutmaßt, projiziert hatte. Keine ihrer negativen Aussagen brachte ihr wirklich Vorteile, statt dessen setzten ihre Glaubenssätze sie unter Spannung, beschäftigten zwanghaft ihr Denken, lenkten sie ab von ihren eigenen Angelegenheiten, trennten sie von ihrer Freundin, machten sie bitter, ärgerlich, angespannt und nervös. Ihr wurde klar, daß sich ihr Ärger auf viele andere Lebensbereiche ausgedehnt hatte – während sie den Groll gegen ihre Freundin hegte, konnte sie nicht hundertprozentig liebevoll zu ihren Kindern und zu ihrem Mann sein.

Das war der Beginn der Entfremdung, von der Jung schreibt – Michaela hatte begonnen, sich eine Welt von Feinden zu schaffen, die nur in ihrer Einbildung existierten. Sobald sie aber die Fragen beantwortet hatte und gesehen hatte, wie sehr die Umkehrungen auf sie zutrafen, änderten sich auch ihre Gefühle. Sie sah sie ganz klar, daß ihre Freundin ihr ihren Schatten gezeigt hatte; der Grund für ihren Ärger hatte scheinbar ohne jeden Zweifel bei dieser gelegen – in Wirklichkeit war sie aber auf ihre Projektion hereingefallen.

Machen wir die kleine Übung einmal mit einer anderen, ganz alltäglichen Situation, wie sie jeder kennt.
Der Drängler auf der Autobahn
Ich fahre auf der Autobahn, dicht hinter mir ein Drängler, der die Lichthupe eifrig bedient. Meine Reaktion? Ärger, Herzklopfen, Bauchschmerzen, Gedanken wie: Dieser Idiot! Der Mann sollte das nicht tun! Niemand sollte mich derartig nötigen und bedrängen!

1. Frage: Ist es wahr, daß er das nicht tun sollte?

Es ist nicht wahr, denn Menschen tun so etwas, immer wieder. Egal, was ich darüber denke, sie ändern sich nicht. Ich sehe den Widerspruch zwischen dem, was ist, und dem, was ich denke, wie es sein sollte.

2. Frage: Kann ich wirklich wissen, daß das wahr ist, daß er das nicht tun sollte?

Antwort: Nein, das kann ich nicht hundertprozentig wissen. Vielleicht will er mich auf etwas aufmerksam machen? Vielleicht hat er eine schwangere Frau im Auto? Vielleicht ist er nur einfach krank?

3. Frage: Wie reagiere ich, wenn ich denke, daß er das nicht tun sollte?

Antwort: Ich spüre Herzklopfen, Unruhe, ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube. Ich spüre Haß. Ich konzentriere mich nicht mehr auf mein eigenes Fahrverhalten, ich sehe die schöne Landschaft nicht mehr. Ich genieße die Fahrt nicht mehr. Ich würde den Mann am liebsten auffahren lassen, indem ich plötzlich bremse. Ein vielleicht sogar selbstmörderischer Gedanke.
Gäbe es einen Grund, diesen Gedanken festzuhalten? Nein. Gäbe es Gründe, ihn loszulassen? Jede Menge.

4. Frage: Wer wäre ich, wenn ich den Glaubenssatz*) Niemand sollte mich derartig bedrängen! fallenlassen würde? Wie ginge es mir dann?

Antwort: Ich wäre gelassen, ruhig, ich würde nach rechts fahren und den Mann vorbeilassen, ich würde mich körperlich wohler fühlen, ich könnte meine Fahrt wieder genießen.

Während ich die kleine Übung absolviere, spüre ich schon deren Wirkung. Indem ich mir das Letztere vorstelle, entspanne ich mich, es kommt mir vor, als ob mein Körper dankbar die Gelegenheit ergreift, diese Vorstellung zu verwirklichen; ich schwenke nach rechts, ich atme tief ein und aus, lehne mich zurück, lächle.
Während der Mann vorbeizieht und mir den Vogel zeigt, normalisiert sich mein Herzschlag und wahrscheinlich auch mein Blutdruck. Ich denke: Der nette unwissende Mensch – er ist so, wie ich einmal war. Denn auch ich habe schon gemacht, was er gemacht hat. Manchmal in Wirklichkeit, manchmal in Gedanken.

Die Umkehrung:

Ich sollte niemanden bedrängen!

Das ist meine Philosophie, so sollte ich leben. Der Mann hat mich daran erinnert. Ich danke ihm.

Diese kleine Übung habe ich schon Tausende von Malen gemacht: wann immer mich etwas im Außen stört, tue ich sie wieder. Mit manchen Dingen in meinem Leben habe ich seitdem keine Probleme mehr, andere tauchen für einige Zeit immer wieder auf. Ich freue mich auf die Probleme in meinem Leben, an ihnen kann ich wachsen.
Oft denke ich, daß andere sich ändern müßten oder sollten – sie tun es nicht. Ich mache die Übung, ich ändere mich. Dankbarkeit.
Manchmal denke ich aber auch: Ich sollte mich ändern – ich sollte liebevoller sein, mit mir und meiner Umwelt. Aber auch damit kann ich The Work machen:

1. Frage: Ist es wahr? Sollte ich liebevoller sein?

Ich bin es nicht, es ist nicht wahr, also sollte ich es nicht. Ich akzeptiere das, was ist, als richtig und gut.
Wieder sehe ich, wie sich meine Gedanken zwischen das Sosein und mich geschoben haben. Die Realität ist, wie sie ist, und anstatt sie zu akzeptieren, bete ich gelernte Glaubenssätze herunter.

2. Frage: Kann ich wirklich wissen, daß es wahr ist, daß ich liebevoller sein sollte?

Nein, das kann ich nicht wissen. Es mag einen verborgenen Sinn haben, wie ich mich mir selbst oder anderen gegenüber verhalte.

3. Frage: Wie reagiere ich, wenn ich denke: Ich sollte liebevoller sein?

Ich fühle Bedauern, habe ein schlechtes Gewissen, Unzufriedenheit, Selbstkritik, Selbstverurteilung. Es gibt keinen einzigen positiven Grund, um an diesem Glaubenssatz festzuhalten.

4. Frage: Wer wäre ich, wenn ich den Glaubenssatz fallenlassen würde? Wie ginge es mir dann?

Ich muß sofort lächeln, denn mir wird klar, daß ich dann liebevoller wäre, vor allem mit mir selbst.

Die Umkehrung:

Ich sollte nicht liebevoller sein.

Denn – ich bin es nicht, also sollte ich es auch nicht sein. Jedes Mal, wenn ich es nicht bin, spüre ich den Schmerz und mache wieder The Work. Irgendwann wird der Gedanke gar nicht mehr auftauchen – ich bin liebevoll geworden.

Banale Situationen, eine eigentlich banale kleine Übung. Und doch liegt nicht nur das ganze Geheimnis der seelischen Gesundheit und der Freiheit hierin, sondern auch viel Spaß, viel Selbsterkenntnis, viel Unterhaltung – und das alles fast ohne jede Mühe. Und dann kommt das Erstaunliche: Diese Übung kann das ganze Leben radikal verändern. Wie ist das möglich?

Wo immer wir auf etwas Ärgerliches, Frustrierendes, Schmerzhaftes stoßen, stellen wir die Fragen, finden wir die Umkehrung. Je öfter wir es tun, um so mehr löst sich auf, um so sensibler werden wir für unsere Projektionen. Irgendwann stellen wir fest, daß unsere ganze Welt aus ihnen besteht.
C.G. Jung ahnte, daß die Summe der Projektionen, die durch die Archetypen hervorgerufen werden, nichts anderes ergibt als die Welt der Illusionen, der Täuschungen unseres Ego*), denn er schreibt in dem zuletzt zitierten Kapitel: Was ist nun dieser projizierende Faktor? Der Osten nennt ihn die Spinnerin, oder Maja, die illusionserzeugende Tänzerin.
Jede aufgelöste Projektion scheint Bewußtheit freizusetzen, es fühlt sich an, als ob Gehirnzellen, die zuvor mit sich im Kreise drehenden, sich ständig wiederholenden negativen Gedanken beschäftigt waren, buchstäblich frei werden, um sich hinfort der reinen Wahrnehmung zu widmen.
Was wir also wirklich tun, wenn wir The Work üben, ist die Zerstörung der Illusion. Nennen Sie es Ego, nennen Sie es Maya. Nennen Sie es die Summe unserer Glaubenssätze, unserer Konzepte, unserer Überzeugungen, unserer Urteile über andere, nennen Sie es unsere Geschichte, unsere persönliche Mythologie. Alle diese Ausdrücke werden in diesem Buch synonym gebraucht.
The Work kann und wird Ihr Leben radikal verändern – allerdings nur, wenn Sie sie machen.
Und haben Sie schon einmal etwas so Einfaches kennengelernt: vier Fragen – eine Umkehrung? Tatsache ist, daß diese Einfachheit manchen abschrecken könnte (Wie kann das wirken, wenn es so einfach ist?), aber ich versichere Ihnen, Wunder sind nichts Ungewöhnliches, wenn man eine Weile The Work praktiziert und vor allem auch das Leben von Menschen verfolgt, die sie im Freundeskreis oder auf Seminaren anwenden.

Behalten Sie aber stets im Auge: Es handelt sich um vier Fragen und eine Umkehrung, nicht mehr und nicht weniger. Sie müssen diese Fragen nicht stellen, Sie müssen Sie nicht beantworten. Jeder findet seine eigenen Antworten. Wenn ich schreibe, The Work tut, bewirkt, etc. so ist gemeint, daß etwas in Ihnen auf diese Weise wirken kann, nicht muß. Mit anderen Worten, es handelt sich um eine Technik, mit deren Hilfe man zwar großen Frieden und große Freiheit finden kann, die aber nicht verantwortlich ist, die auch vor allem keine Therapie darstellt oder – falls notwendig – ersetzen kann. The Work ist auch keine Religion, keine esoterische Schule, kein Gebet, keine spirituelle Richtung. The Work ist eine Technologie. Sie ist wie eine faszinierende Maltechnik, was Sie aber damit malen, bleibt Ihnen überlassen. Ganz gleich, wo Sie stehen, Sie können es auf Ihre Weise anwenden und sich überraschen lassen.

Es mag sein, daß die Methode eine besonders gute Ergänzung zu Ihrer ansonsten ausgeübten Praxis, Weltanschauung oder Religion darstellt, sie ist aber auf jeden Fall nicht abhängig von weiteren Übungen oder geistigen Richtungen.

Byron Katie, die Erfinderin, nennt The Work eine Untersuchung. Wir machen mit Hilfe des Fragebogens eine Momentaufnahme unseres Geistes, die wir dann unter die Lupe nehmen. Es geht nicht darum, große Weisheit zu finden, es geht nicht darum, den Ursprung irgendwelcher Probleme zu suchen. Wir sollen uns nicht einmal ändern – wir betrachten nur unsere Wahrheit.
Die Liebe zu dieser Wahrheit werden Sie allerdings brauchen, denn nicht immer ist The Work bequem. Schließlich heißt The Work zu deutsch die Arbeit.

Die eigentliche, vollständige Übung, die man macht, wenn man den Fragebogen ausfüllt und sich dann allein, zu zweit oder in einer Gruppe irgendwo ein ruhiges Plätzchen sucht, und die Fragen stellt, ist ein wenig anders aufgebaut, als die bisher beschriebene Kurzform. Die letztere praktiziere ich gerne, wenn ich unterwegs bin und gerade nichts aufschreiben kann.

 

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Weiterer Auszug:

Wir sind buchstäblich unser eigener Meister

Bei fast allen Formen der Meditation wird empfohlen, das Denken zumindest zeitweise abzustellen. Wer das schon einmal probierte, weiß, daß es fast unmöglich ist.
Das Besondere an The Work ist für meine Begriffe, daß das Denken im Gegenteil dazu benutzt wird, um Freiheit zu erlangen. Unser Denken, das wir sowieso nicht abstellen können, ist nicht mehr die Barriere auf dem Weg zum geistigen Erwachen, sondern das Tor zur Befreiung!

Also seien Sie liebevoll zu sich selbst. Umarmen Sie Ihr Denken, lieben Sie Ihr Denken! Es ist ohne Arg, unwissend, naiv, kindlich! Es ist das wunderbare neue Werkzeug der Spezies Homo sapiens, gerade erst den Windeln entwöhnt! Es ist nicht unser eigenes Denken, sondern dasjenige unserer Ahnen, unserer Rasse. Je länger Sie sich damit beschäftigen und je öfter Sie das Denken anderer Menschen in den Sitzungen beobachten, um so klarer wird Ihnen das werden.
Ich bemerke in letzter Zeit an mir selbst, daß ich mich immer häufiger in die Menschen geradezu verliebe, denen ich bei The Work zuhöre. Gleichzeitig erkenne ich mein eigenes Denken in dem der anderen wieder – also verliebe ich mich in mich selbst.

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Auszug:(Transkript einer Sitzung mit Katie)


Mein Vater schlug mich

Katie: Willst du die Wahrheit wirklich wissen?

Ja.

Katie: Du scheinst wirklich schwanger zu sein mit dieser Sache.

Ich saß vorhin unter einem Baum und zitterte, und ich sagte mir: Ich werde heute nicht davonlaufen! Und ich bat um Hilfe.

Katie: Mut sieht nicht so aus, als würde man in die Schlacht ziehen, Mut sieht aus wie du! Mut ist die Erfahrung von Demut, nicht von Gewalt. Danke für diese Lehre. Schauen wir uns deinen ersten Satz an.

Ich mag meinen Vater nicht, weil er mich zwang, Dinge zu tun, die ich nicht mochte. Zum Beispiel mußte ich den Rasen mähen, wenn ich eigentlich spielen wollte.

Katie: Er zwang dich, ist das wahr? Wie hat er das getan?

Er drohte, mich zu schlagen.

Katie: Also wie zwang er dich?

Ich hatte solche Angst vor ihm.

Katie: Du hast ihm gehorcht, damit du nicht geschlagen wurdest. Das scheint mir liebevoll dir selbst gegenüber. Das ist Selbstliebe. Was würdest du heute tun, wenn dir jemand drohen würde: Ich werde dich schlagen und er viel stärker wäre als du?

Ich würde dasselbe tun.

Katie: Genau. Du bist ja nicht verrückt. Und du würdest den Rasen mit Freude mähen, denn du hast die richtige Wahl getroffen. Kleine Jungen denken, sie haben keine Wahl. Sie sehen nicht das Wohlwollen sich selbst gegenüber. Sie glauben zu wissen, was der Vater denkt, also ist da Schmerz. Aber der Vater ist einfach das, was ist. Also wer traf die Wahl?

Ich traf die Wahl.

Katie: Also, kleiner Junge, wie fühlt es sich an, wenn du an der Geschichte haftest: Er zwang mich, den Rasen zu mähen!?

Es fühlt sich an, als würde man mich würgen.

Katie: Und wie behandelst du ihn, wenn du denkst, du wirst gezwungen?

Ich wußte auch, daß ich es ihm niemals recht machen konnte.

Katie: Wenn du den Rasen nicht mähen würdest, dann würde er dich schlagen – kannst du wirklich wissen, daß das wahr ist?

Nein. Tatsache ist, daß er mir meistens nur sehr nahe kam und dann innehielt. Aber ich habe immer geglaubt, daß er es tun würde.

Katie: Deshalb frage ich den kleinen Jungen.

Ich denke, er würde es tun.

Katie: Und kannst du es wirklich wissen? Ganz sicher?

Nein, ich kann es nicht wissen.

Katie: Also, kleiner Junge, wie fühlt es sich an, wenn du an diesem Glauben haftest?

Es fühlt sich an, als hätte ich keinen Vater, der mich beschützt oder der sich um mich kümmert.

Katie: Kannst du einen Grund sehen, diese Geschichte fallenzulassen?

Mhm.

Katie: Kleiner Junge, wer wärst du, wenn du den Rasen mähen würdest, ohne in einer Geschichte hierüber zu sein?

Ich könnte es einfach tun, denn es ist gut für den Rasen, wenn er gemäht wird.

Katie: Laß uns den nächsten Satz anschauen.

Ich will, daß mein Vater aufhört zu trinken, denn er wurde gewalttätig, wenn er trank.

Katie: Dein Leben wäre heute viel besser, wenn er nicht getrunken hätte, als du klein warst – kannst du wirklich wissen, ob das wahr ist?

Meine Mutter wäre dann auch glücklicher.

Katie: Auf lange Sicht – kannst du wirklich wissen, daß das wahr ist?

Auf lange Sicht – dasweiß ich nicht.

Katie: Wie fühlt es sich in dir an, wenn du den Gedanken hast: Meine Mutter sollte glücklich sein?

Da gibt es sehr viel Spannung. Traurigkeit. Enttäuschung über mich selbst, denn sie sagte, ich wäre der eigentliche Grund dafür, daß sie nicht glücklich ist. Ich war der Grund für den Ärger meines Vaters, mein Vater war deshalb böse auf sie, also war sie böse auf mich.

Katie: Deine Eltern wären glücklich, wenn du anders wärst?

Vielleicht.

Katie: Kannst du wirklich wissen, daß das wahr ist?

Nein. Nicht wirklich.

Katie: Wenn du nie geboren worden wärst, wären deine Eltern viel glücklicher gewesen – kannst du wirklich wissen, daß das wahr ist?

Nein.

Katie: Was passiert in dir, kleiner Junge, wenn du an diesem Glauben haftest?

Eine unglaubliche Spannung, ein sehr starker Wunsch, meinen Eltern zu gefallen. Ein Wille, sie und andere glücklich zu sehen.

Katie: Wie fühlt sich das an, wenn du versuchst, für deine Eltern eine Quelle der Freude zu sein?

Frustrierend.

Katie: Nach meiner Erfahrung ist das eine Untertreibung.

Ich fühle Wut. Ich fühle, daß ich kein eigenes Leben habe.

Katie: Kannst du einen Grund sehen, an dem Gedanken festzuhalten: Meine Eltern wären glücklicher, wenn ich nie geboren worden wäre?

Ja.
Später waren sie auch oft sehr glücklich – weil ich gelernt hatte, wie ich ihnen gefallen kann.

Katie: Ist das wahr? Kannst du das wissen?
Mit dir oder ohne dich, deine Eltern tun, was sie tun.
Wer wärst du ohne diese Geschichte, kleiner Junge, der aufwächst?
Kleine Jungen kennen diese Untersuchung nicht. Aber Erwachsene stecken hier fest. Es gibt kein wirkliches Erwachsenwerden, solange wir diese Dinge nicht untersuchen. In Wirklichkeit gibt es nicht so etwas wie Zeit oder Erwachsenwerden. Es ist eine Illusion, daß der Körper sich verändert. Das ist ein Konzept, Zeit ist ein Konzept. Nur weil wir in unserer Geschichte festsitzen, haben wir die Illusion der Zeit. Wenn wir The Work tun, verlieren wir unsere Vergangenheit. Solange das nicht der Fall ist, fahren wir mit der Untersuchung fort.
Wenn du diesen Zusammenhang siehst, wirst du bemerken, daß man keine Zukunft haben kann. Nur die Geschichte von einer Vergangenheit kann auch eine Projektion in die Zukunft erzeugen. Das ist auch der Grund, warum der normale Mensch nicht im Jetzt leben kann, er kann nur so tun, als ob. Erst ohne Vergangenheit wird es möglich, wirklich hier und jetzt zu sein. Erst ohne Vergangenheit wird offenbar, was du wirklich bist: ein wunderbarer Mann, der auf einer Couch sitzt und mit seiner Familie zusammen ist. Die Erfahrung des Atmens, Freiheit. Und es ist liebevoll, weil es nicht all diesen Ballast mit sich herumschleppt.

Ja, ich bin einer Zukunft hinterhergejagt, ich kann das jetzt sehen.

Katie: Wer wärst du ohne Geschichte?

Ich wäre sehr glücklich mit mir selbst.

Katie: Und wie sähe die Umkehrung aus?

Ich wäre sehr glücklich mit mir selbst, wenn ich nicht diese Vorstellungen mit mir herumtragen würde.

Katie: Du wärst viel glücklicher ohne deine Eltern, die du in deinem Kopf herumträgst!
Sie leben in deinem Kopf und zahlen nicht mal Miete!
Väter sollten nicht trinken und gewalttätig sein – ist das wahr? Sie trinken.

Und es scheint ihnen dabei ja auch ganz gut zu gehen.

Katie: Wie fühlt es sich an, wenn du an dem Glaubenssatz festhältst?

Totale Spannung.

Katie: Siehst du einen Grund, den Glaubenssatz fallenzulassen?

Ja.

Katie: Wer wärst du ohne ihn?

Sehr frei, sehr locker.

Katie: Dreh es um.

Ich sollte nicht trinken und gewalttätig sein – vor allem nicht mir selbst gegenüber.

Katie: Es ist deine Lebensphilosophie. Du solltest nicht trinken und gewalttätig sein.

Aber ich trinke gar nicht.

Katie: Dann setze mal das Wort Denken an dieser Stelle ein.
Er war betrunken von seinem Trinken, du bist betrunken von deinem Denken.

Das stimmt. Ich sollte mich nicht mit meinem Denken betrinken und ich sollte nicht gewalttätig gegen mich selbst sein.

Katie: Also immer, wenn du einen inneren Krieg gegen dich selbst erlebst, denk an deinen Vater. Du wolltest, daß er mit der Gewalt aufhört – versuche du, damit aufzuhören. Wenn du denkst, daß es so einfach ist ...
Es könnte sein, daß du sehr demütig wirst in Gegenwart deines Vaters.

Und wenn du wieder Gewalt in dir erlebst, schreib es auf! Krieg gehört aufs Papier.
Stell dir vor, alle Generäle dieser Welt würden in einem Raum zusammenkommen und alle Urteile aufschreiben und diese untersuchen und die Umkehrungen finden.

Das wäre schön.

Katie: Es fängt mit dir an.
Es ist gut, daß du gewalttätig bist. Schreib es auf, nimm es mit in den Generalstab und zu den Friedensgesprächen. Die Nato weiß nicht, wie man das macht.
Ihr habt auf diesem Workshop eine Menge Glaubenssätze gehört! War ein einziger neuer Glaubenssatz dabei? Nicht einer. Sie werden immer wieder recycelt. Nichts Neues. Diese Verwirrung tragen sie in die Generalstäbe. Und natürlich muß es Krieg geben.

Es hat mich sehr berührt, als du einmal sagtest: Laß The Work deine Mutter sein.

Katie: Ja, The Work ist die Mutter. Diese Mutter ist immer da, du kannst dich auf sie verlassen. Sie ist makellos und ehrlich. Sie wird dich halten.
Was ist dein nächster Glaubenssatz?

Mein Vater sollte nicht du Idiot zu mir sagen.

Katie: Ist das wahr?
Schließlich denkst du, er würde dich zwingen, das Gras zu mähen, obwohl du selbst das getan hast.
Wenn mich jemand einen Idioten nennt, dann gehe ich nach innen und werde ganz ruhig und nach spätestens drei Sekunden habe ich es gefunden.

Das glaube ich dir.

(Lachen)

Katie: Und du hattest recht. Mein Mann nennt mich einen Idioten – jetzt haben wir beide den gleichen Wissensstand. Er sagt: Kate, du bist dumm! Ich gehe nach innen und ich kann es finden. Warum sollte ich nach außen gehen und versuchen, etwas zu verteidigen, was nicht stimmt? Krieg ist gewalttätig – und ich verliere immer. Das fiel mir auf. Also gehe ich nach innen. Ich sage zu ihm: O ja, Liebster, ich habe es gefunden! Du hattest recht. Er liebt es über alles, recht zu haben. Er hat recht; ich bin glücklich.
Gibt es irgend etwas, das nicht auf mich zutrifft? Unsere scheinbaren Feinde sagen uns, was wir nicht wissen, und es stellt sich heraus, daß sie unsere Geliebten sind, die uns geben, was wir wirklich wollen, was wir wirklich brauchen. Das ist das, wofür Väter da sind. Das ist das, wofür Ehefrauen und -männer da sind. Das habe ich jedenfalls bemerkt. Darin besteht die Reise. Das ist die Wahrheit, die mich befreite.
Wogegen auch immer du dich verteidigst, ist das, wonach du wirklich suchst. Die Leute sagen: Du bist dies oder das, und du verteidigst dich und führst Krieg dagegen. Geh statt dessen nach innen und finde den Schatz, der dort auf dich wartet. Niemand hat jemals unrecht. Wenn du Krieg führst, dann hat das mit The Work nichts zu tun. Ich bringe den Krieg aufs Papier. Ich bin die Wahrheit, auf die ich gewartet habe. Ich bin du. Wir sind gleich.

Mein Vater sollte mich nicht schlagen.

Katie: Ist das wahr? Wie sah die Realität aus?

Er tat es.

Katie: Also ist der Gedanke Mein Vater sollte mich nicht schlagen eine Lüge. Woher wissen wir, daß er es tun sollte? Er tat es. Das ist es, was er tut.
Wie fühlt es sich an, wenn du diesen Gedanken hast?

Er darf es nicht tun. Auf gewisse Weise nehme ich Rache an ihm.

Katie: Nicht auf gewisse Weise. Du hast Rache genommen. Wie sah das aus? Was war deine Methode?

Ich schloß ihn aus.

Katie: Wie fühlte sich das an?

Ich wollte mit ihm sprechen, aber ich konnte nicht.

Katie: Kannst du einen Grund sehen, den Glaubenssatz fallenzulassen?

Ja.

Katie: Kannst du einen Grund sehen, den Glaubenssatz zu behalten?

Nein.

Katie: Wer wärest du ohne diese Geschichte? Wer wärest du ohne diese Geschichte im Haus deiner Eltern?

Ich wäre frei. Ich könnte mich frei bewegen in diesem Haus, in der ganzen Welt.

Katie: Ja. Es gibt also zwei Arten, geschlagen zu werden. Die eine bedeutet Schmerz, und die andere bedeutet Schmerz obendrauf. Die eine bedeutet Schmerz einmal, die andere bedeutet Schmerz immer wieder und das nur ein Leben lang.

Ich kann sehen, wie ich mich selbst immer wieder geschlagen habe. Die Hiebe meines Vaters sind nichts gegen die Tortur, die ich mir selbst zufügte, indem ich diese Geschichte solange mit mir herumtrug.

Katie: Das ist endloser Schrecken. Er hat dich nur gehauen, du hast dir diesen Alptraum zugefügt. Weil du nicht wußtest, wie man diese Sache untersucht. Die Zeit war noch nicht reif.
Wie oft hat er dich geschlagen?

Jeden Tag ein paarmal.

Katie: Wie oft hast du dich geschlagen, indem du diese Geschichte hattest? Wie viele Jahre? Noch immer?

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Ich habe am nächsten Tag mit diesem Mann gesprochen und er machte auf mich den Eindruck eines Suchers, der endlich Frieden gefunden hat. Er sagte: Ich habe immer das vage Gefühl gehabt, ich müßte es mit der ganzen Welt aufnehmen, ich müßte den Beifall der Welt finden. Ich stand immer unter Spannung, es war, als suchte ich nach Negativität. Ich hatte alles Positive in die Zukunft verlegt; die Zukunft würde das Wissen bringen, den richtigen Lehrer, das Verständnis.
Jetzt fühle ich Frieden und Ruhe in mir; und eine unglaubliche Liebe für meinen Vater. Und ich kann diese Liebe in diesem Moment auch für alle Menschen um mich herum spüren.
Ich war acht Jahre bei einem indischen Guru, aber es scheint, als hätte ich erst jetzt gefunden, was ich suchte.


Auch mit der Frau aus dem nächsten Transkript hatte ich eine lange Unterhaltung. Erst hierbei erfuhr ich, daß ihre Tochter sich gerade vier Wochen vor ihrer Work umgebracht hatte. Inzwischen ist mehr als ein halbes Jahr vergangen. Margot (Name geändert) scheint jetzt in sich zu ruhen; ihre Fröhlichkeit hat etwas Verhaltenes, einen meditativen Ernst. Als ich sie frage, ob sie mit mir über den Selbstmord ihrer Tochter und die Work hierüber sprechen wolle, merke ich, daß ihr das Thema sehr wichtig ist, ich spüre bei ihr so etwas wie eine heilige Scheu, eine Ehrfurcht – aber keine Trauer oder Traurigkeit. Das Gefühl, das sie mir vermittelt, ist so ganz anders, als ich es bisher bei Schicksalsschlägen oder Trauerfällen erlebt habe.
Margot: Meine Tochter ist mir jetzt manchmal näher, als sie es jemals in ihrem Leben war. Ich weiß jetzt, daß ich meine Tochter sehe, wenn ich bewußt andere Menschen anschaue, und ich weiß gleichzeitig, daß ich das bin.
Mir wurde klar, daß ich genauso süchtig wie meine Tochter bin, sie nahm Drogen, aber ich bin süchtig nach Erleuchtung, und das war das, wonach auch sie letztendlich suchte. Sie war mein Spiegel. Es ist auch meine Geschichte.
Nach der Work mit Katie war aller Druck weg, sie hat mich befreit – nein, ich habe mich befreit. Sie hat mir ja nur die Fragen gestellt.
Und ich konnte sehen, daß ich keine Schuld habe, daß passiert ist, was passieren sollte.
Jedesmal, wenn ich mich in die Geschichte begebe und sie in meinem Kopf hin und her drehe, entferne ich mich von meinem wahren Wesen – das weckt mich dann auf und bringt mich immer wieder zurück zu mir selbst.

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Auszug:

Wie entstand The Work?

Byron Katie sagt, daß The Work, wie wir sie kennen, augenblicklich aus ihrer Erfahrung des Göttlichen entstand. Sie erzählt:

Immer wenn ein Glaubenssatz in mir erschien, so wirkte das auf mich, als wäre ich von einer Bombe getroffen worden. Ich fühlte ein Schütteln, eine Spannung, eine Kontraktion, und mein innerer Friede schien zerstört. Andere sahen, daß ich schrie, weinte und daß meine Gliedmaßen und mein ganzer Körper sich versteiften. An diesem Punkt erschien dann stets die gleiche Klarheit, die ich während des Erlebnisses mit der Kakerlake erfahren hatte; der Glaubenssatz, die Geschichte fielen von mir ab wie ein Alptraum im hellen Licht der Wahrheit.
Es zeigte sich, daß alle Geschichten irgendwie mit dem Körper verbunden sind, und das zog den Körper so stark in Mitleidenschaft. Diese Bindung des Glaubenssatzes an den Körper erzeugt das Gefühl. Und durch dieses unangenehme Gefühl wiederum wußte ich automatisch, daß die Geschichte nicht wahr war. Dies zu wissen war der Sinn des unnatürlichen Gefühls – das Gefühl war der Beweis für die Unwahrheit des Glaubenssatzes. Und dann stellte ich fest, daß die unwahre Geschichte dadurch zum Verschwinden gebracht wurde, daß man wußte, daß sie unwahr ist. So entstand die erste Frage: Ist es wahr?
Ich hörte dann z.B., daß die Leute sagten: Es sollte mehr Liebe und Verständnis geben in der Welt!, und ich erlebte solche Bemerkungen mit einem unangenehmen Gefühl, das sich nicht wie innerer Friede anfühlte. Jetzt erschien der Satz Kann ich wirklich wissen, daß das wahr ist? von ganz alleine, aber nicht in Form von Worten oder einer Stimme – es war eine lebendige Erfahrung, die sich jetzt als Sprache manifestierte.
Woher kommt das unangenehme Gefühl? Laß mich untersuchen, ob es wirklich wahr ist, daß es mehr Liebe und Verständnis in der Welt geben sollte. Kann ich diese Wahrheit wirklich in mir selbst finden, ganz gleich, was die ganze Welt mir vorbetet? Was ich fand, war lediglich das Echo der illusionären 43 Jahre vor meinem Erlebnis, und es schloß alles ein, was ich meinen Kindern und meinem Mann gepredigt hatte. Und diese Welt kam nun mit der Behauptung, es solle mehr Liebe geben, zu mir zurück. Das unangenehme Gefühl warnte mich, und ich begegnete ihm mit Verständnis.
Wenn ich jetzt fragte: Kann ich wirklich wissen, daß es mehr Liebe und Verständnis in der Welt geben sollte, konnte ich mit großer Sicherheit antworten: Nein, das kann ich nicht wissen. Mein altes Selbst, meine alte Welt erzählten mir zwar, es gäbe nicht genug Liebe – aber ich war doch jetzt Liebe. Wie konnte das Herz also eine andere Antwort senden als nein? In dieser Wahrheit meines Herzens fühlte ich Frieden in mir. Ich dachte zwar, daß die Antwort anders hätte lauten sollen, aber ich verstand, daß die Wahrheit sie selbst ist und nicht durch ein Konzept wie ein Gesetz vorgeschrieben werden kann. Und während ich die Antwort nein in mir empfing, sah ich, daß alles so war, wie es war. Wenn nicht genug Liebe in der Welt war, so sollte es so sein. Ich streite mich nicht mehr mit dem Göttlichen – mit der Realität. Ich liebe die Welt bedingungslos.
Vor der Überzeugung Es sollte mehr Liebe und Verständnis geben war Frieden in mir. Keine unnatürliche physische Reaktion. Vor der Geschichte oder ohne Geschichte bin ich Frieden, Liebe, Bewußtheit. Aber sobald ich die Geschichte glaubte, hatte ich das unangenehme Gefühl. Also war es das Anhaften an der Überzeugung, was das schlechte Gefühl auslöste. Wenn ich fragte: Was bekomme ich, wenn ich das glaube?, dann hatte ich aber nicht nur das schlechte Gefühl, sondern ich wurde wieder in mein altes Leben zurückkatapultiert – ich erhielt ein ganzes Leben voller Bilder und Erfahrungen, eine Vergangenheit voller Illusionen. Ich wurde zu einer Märchenfigur, die in ihre Geschichte zurücksprang, in ein Märchen, das sich real anfühlte und aus dem es kein Entkommen gab. Aber es gab die Möglichkeit der Untersuchung: Was bekomme ich, wenn ich an der Geschichte festhalte? Ich bekomme die scheinbare Realität eines Körpers voller Spannung, eine Schlafwandlerin, die alles durch die Brille der Furcht sieht, ohne Hoffnung je zu erwachen, ohne Hoffnung auf Gnade. So entstand die dritte Frage.
Und sie enthüllte auch schon, was vor der Geschichte war: Friede. Keine Trennung. Eine Freundin. Ein Zuhörer. Eine Dienerin. Freude. Erfüllung. Demut. Das war die vierte Frage: Wer bin ich, wenn ich den Glauben fallenlasse?
43 Jahre lang hatte ich keine Ahnung, daß ich Glaubenssätze, eine Geschichte lebte. Ich war die Geschichte. Ich dachte, es sei die Wirklichkeit. Wenn wir unsere Geschichte nicht untersuchen, verschmelzen wir total mit ihr. Sie wird sehr dramatisch, und das muß so sein, eben weil sie nicht real ist. Wir müssen pausenlos beweisen, daß sie real ist, und das beansprucht uns voll und ganz, weil wir das Unmögliche versuchen: eine Illusion als real erscheinen zu lassen. Das beansprucht unsere gesamte Aufmerksamkeit, unser ganzes Leben. Und natürlich ist es verständlich, daß wir so sehr an unserer Geschichte festhalten, denn ohne sie haben wir keine persönliche Welt mehr.

Byron Katie tat The Work auf exakt die Weise, wie wir sie heute tun. Sie nahm die Glaubenssätze, die in ihr aufstiegen, und schrieb sie auf. Sie erkannte, daß dieses Aufsteigen nicht wirklich etwas mit ihr zu tun hatte, sondern daß es ein fast biologisch zu nennender Vorgang ist, der von selbst abläuft und den wir nicht verhindern können.
Sie nahm die Glaubenssätze, die sie als wahr empfand, und tat The Work mit ihnen. Am Ende stellte sich alles als unwahr heraus. Buchstäblich alles. Sie benötigte drei Jahre für diese Arbeit – der Großteil ihrer Überzeugungen bezog sich auf ihre Mutter. Ihre Glaubenssätze sahen genauso aus wie jene, die wir heute aufschreiben. Woher wußte sie, daß nach drei Jahren die Arbeit getan war? Sie hatte keine Schmerzen mehr. Es gab nichts mehr, das weh tat.
Vom ersten Tag an strömten Menschen zu ihr, mit denen sie The Work tat. Während sie es tat, bearbeitete sie ihre eigenen Überzeugungen. Sie sagt daher nicht: Ich war deren Therapeut, sondern: Sie machten Therapie mit mir.
Dieser Vorgang dauert im Grunde an, es gab keine Unterbrechung. Sie sagt zu den Menschen, die zu ihr kommen: Du bist alles, was von mir noch übrig ist. Und sie sagt auch:

Ich sage die Wahrheit, die ich bin. Ich kann diese Wahrheit nicht direkt aussprechen, niemand würde es verstehen. Aber mit Hilfe der vier Fragen und der Umkehrungen geschieht es, daß die Menschen für sich ihre Wahrheit entdecken.
Nichts, was ich habe, hat einen Wert für andere, aber die Antworten, die sie für sich finden, sie haben Wert. Die Menschen beginnen, sich zu verändern. Ich helfe ihnen im Grunde, sich desen bewußt zu werden, daß sie ich sind. Darin liegt die Kraft von The Work. Ich helfe aber nur denen, die darum bitten, denn wer es nicht tut, für den ist die Zeit nicht reif. Auf diese Weise geschieht, was geschehen soll, und so soll es sein.

Ich bin du. Wenn du mich anschaust, siehst du dich selbst. Wer mich nicht erkennt, gibt damit lediglich zu verstehen, daß er nicht weiß, wer er ist. Es gibt nur das Eine. Erkenne dich selbst, und du findest das Eine. Du bist mehr als dein kleines Selbst. Es gibt keine Trennung. Was auch immer du außerhalb von dir zu sehen glaubst, es ist die Spiegelung deiner selbst. Es sind die Berge, es ist der Vollmond, es ist ein verheerendes Feuer, es ist der Sturm, der Bäume entwurzelt und Häuser durch die Luft wirbelt. Es ist das Gesicht meines Geliebten, es ist der Bettler in Lumpen. Es ist der Ertrinkende, der Hungernde, der Soldat, der Peiniger und das Opfer. Es ist das Kind, das man in die Mülltonne warf. All das ist der Spiegel. Es gibt nichts, was ich nicht bin.
Das Eine besteht aus purer Liebe. Alles andere fügen wir selbst hinzu. Bleibe in dem Zustand, in dem du keine neue Illusion erzeugst. Bleibe im Ich bin. In diesem Ich bin ist alles bereits enthalten.
In meinem Alltag kann ich die Schöpfung beobachten, dich, deine Kleider, deine Halskette, und ich weiß, was das ist. Es ist real, es ist Liebe, es ist Ich. Ich befinde mich in Gegenwart meiner selbst – Alles. Alles ist Liebe, Liebe ist Alles. Es gibt keine Gedanken über deine Kleider, deine Halskette, nicht einmal über das wundervolle Du, das du bist. Es gibt keine Glaubenssätze – ich fühle mich absolut wohl als seiendes Wesen. Einfach zu sehen, was ist, und zu wissen, daß man sich in Gegenwart seiner selbst befindet, das ist Seligkeit. Wenn ich mit geschlossenen Augen ganz stillsitze, dann gibt es nicht einmal einen Glaubenssatz über diese Tatsache.
Wenn wir uns einmal dessen bewußt werden, daß es die Gedanken sind, die uns von der Realität, von dem, was ist, hinwegtragen, dann hören wir auf, Glaubenssätze auf diese Gedanken zu gründen.

Nehmen wir einmal an, daß es stimmt, was Byron Katie und mit ihr viele Erleuchtete sagen, daß wir nämlich eigentlich Liebe sind. Liebe ist sicher nicht Schmerz und Frustration; wenn wir also derartige Gefühle haben, so stimmt entweder die ursprüngliche Aussage nicht, oder wir mißverstehen da etwas.
Was wäre, wenn das, was wir als schmerzhaft empfinden, in Wirklichkeit ebenfalls Liebe wäre? Ein liebevoller Hinweis des Göttlichen? Schmerz ist also gut, er zeigt mir, daß ich etwas ändern sollte. Wir arbeiten nur an den Dingen, die schmerzen – so lange, bis sie nicht mehr schmerzen.
Ich möchte The Work den Weg des Nicht-Schmerzes nennen. Wenn ich immer fühle, was ich fühle und mein Verhalten so gestalte, daß ich möglichst wenig oder keinen Schmerz spüre oder gar Freude empfinde, dann kann ich nichts falsch machen.
Das hat nichts mit dem Weg des geringsten Widerstands zu tun oder damit, daß ich nur Lust suche und Ärger vermeide. Im Großen: Ich entscheide mich zum Beispiel dafür, eine Abendschule zu besuchen oder ein Kind auszutragen, weil sich das einfach gut anfühlt. Natürlich macht das meinen Alltag nicht leichter, aber es fühlt sich für mich richtig an. Ich bleibe integer, ich bleibe mir selbst treu. Im Kleinen: Ich trete in einen Hundehaufen und denke, auch das ist eine Ausdrucksform des Göttlichen. Ich fühle mich gut mit diesem Gedanken, die Alternativen wären winzige Nadelstiche, die ich mir selbst versetze.
Kann ich mit dieser Art zu denken etwas falsch machen? Nein, ich glaube nicht.

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Der Schatz in der Wüste

Ich wandere durch die Wüste, da ist er wieder, dieser Gedanke, der mich seit meiner Kindheit verfolgt, etwas finden zu wollen, einen schönen Stein, eine Versteinerung, gebleichte Knochen – oder gar einen Schatz, Gold, Edelsteine. Irgend etwas, das Katie hier versteckt haben mag, als sie vor Jahren selbst häufig durch diese Wüste wanderte.

Wie reagiere ich, wenn ich an diesem Gedanken festhalte?

Mein Blick schweift zwanghaft über den Boden und sucht nach etwas Besonderem, Ungewöhnlichem; was da wirklich ist, wird gar nicht wahrgenommen.

Wer wäre ich, wenn ich diesen Gedanken gar nicht hätte?

Augenblicklich sehe ich geheimnisvolle Formen, überall, ringsumher. Magische Formen. Plötzlich nur noch Schätze, Steine, die sprechen, kleine runde glatte Flächen wie miniaturisierte Tanzplätze. Da ist ein seltsamer Ring aus Steinen, kreisrund, in der Mitte eine kleine Pyramide. In einigem Abstand sehe ich regulär angeordnete kleine Häufchen aus Steinen, die wie Sitzgelegenheiten wirken.  Das sind wieder nur ausgedachte Geschichten.
Ich komme zu einer Stelle, an der wohl regelmäßig Schießübungen stattfinden, die wunderschöne Natur ist übersät mit durchlöchertem Schrott, Patronenhülsen, Dosen wie Siebe, rostige Karosserieteile. In der Mitte die rostbraune Hülle eines alten Kühlschranks, die fast nur noch aus Löchern besteht. Man hat dieses quaderförmige Sieb mit Steinen gefüllt, vielleicht, weil es sonst von jedem Schuß weggeblasen würde.
Die Scherben von Tausenden zerschossener Flaschen glitzern in der Sonne wie Edelsteine, ein undefinierbares Blechteil schwankt im Wind und erzeugt wunderbare pfeifende Töne. Niemand sollte mit solchem Müll die Natur verschandeln, dieser tausendmal von mir gedachte Gedanke bleibt aus, statt dessen sehe ich die Perfektion dessen, was ist, und es ist schön.
Ich erklimme einen Hügel, lasse mich nieder. Der Himmel ist blau.

Ist das wahr?

Nein. Blau ist nur eine Wahrnehmung in mir. Ein Wort. Etwas, an das ich mich erinnere.

Wie reagiere ich, wenn ich die Überzeugung habe, der Himmel sei blau?

Ich sehe ihn gar nicht mehr. Es ist, als hätte ich die Schublade blau in meinem Kopf aufgezogen, und da tue ich den Himmel rein, um ihn nicht sehen zu müssen. Ich versehe innerlich die Worte Himmel und blau mit kleinen Häkchen.

Wer wäre ich, wenn ich nicht glauben würde: Der Himmel ist blau?

Ich würde mich zu wundern beginnen: Was ist das alles? Plötzlich sind da Tausende von feinen farblichen Abstufungen einer geheimnisvollen Realität.

Mein Denken ist blau.

Das ist auf jeden Fall wahrer als der ursprüngliche Gedanke. Da ist ein kleiner Baum, fern von mir, auf einem Felsen.

Ist das wahr?

Ich kann es nicht wissen.

Wie reagiere ich, wenn ich glaube, dort sei ein Baum?

Der Baum hält meinen Blick, meine Aufmerksamkeit gefangen. Ich verliere das Bewußtsein des Ganzen um mich herum, des ALLES.

Wer wäre ich ...?

Ich würde den Wind fühlen, den Wind hören, die Bewegung der Büsche, der Gräser um mich herum wahrnehmen.

Da ist Wind, ist das wahr?

Ich kann es nicht wirklich wissen. Ich weiß ja gar nicht, was Wind eigentlich ist. Luftdruckunterschiede, die durch den Raum fliegen? Wellen von Energie? Gibt es überhaupt so etwas wie Wind?

Wie reagiere ich ...?

Ich mache den Wind flach, ich verwandle dieses fühlbare, hörbare, riechbare Phänomen in ein vergilbtes Wort.

Wer wäre ich ...?

Ich würde den Wind wirklich fühlen, mich jedes Moments erfreuen, was auch immer dieser Moment in Form von Wind bringt: meine Haut spüren, die Symphonie hören, den ständigen Fluß von ETWAS.
Da ist Denken – das ist sicherlich wahrer als die Überzeugung: Da ist Wind. Da ist ein Verstand, der das Wort Wind buchstabiert und mich in seinem Bann hält, so daß ich die WAHRHEIT des Windes nicht wahrnehmen kann.

Da ist ein fernes Gebirge, ist das wahr?

Nein, sicherlich nicht.Ich bin nicht dort, da ist nur diese Abbildung auf meiner Netzhaut, und nicht einmal die kann ich wirklich sehen, ich interpretiere vielleicht nur die Schwankungen elektrischer Potentiale in meinem Gehirn.

Wie reagiere ich ...?

Ich bin nicht mehr hier, ich bin dort, wo vielleicht gar nichts ist. Ich bewege mich in fremder Angelegenheit. Da sind die fernen Geräusche der Autos.

Ist es wahr? – Ich sehe kein Auto. Wie reagiere ich ...?

Ich erhalte eine Vergangenheit, daß ich von Barstow hierhergekommen bin, ich erhalte eine Zukunft, daß ich dorthin zurückmuß.

Wer wäre ich ohne den Glauben ...?

Ich würde mich an den kleinen schwankenden Gräsern freuen, mit ihren vertrockneten Blüten. Die Vibrationen wahrnehmen.

Ist das wahr, daß das Gras ist?

Nur Spiegelungen, Worte, Bewegung von Worten in meinem Gehirn.

Und habe ich ein Gehirn, ist das wahr? Wo ist es?

Ist mein Fuß wahr, den ich unter mir sehe? Kann ich das wissen?
Der Prozeß verselbständigt sich, ich höre das feine Sirren in meinem Kopf, ich fühle die Einheit von Beinen und Fuß und Steinen, dem Boden darunter. Das Geräusch der fernen Straße wird zu Musik, die sich mit Windgeräuschen und dem Ton in mir vermischt.

Wie reagiere ich, wenn ich denke, ich hätte einen Körper?

Plötzlich spüre ich die unendliche Last, die mit diesem Glauben verbunden ist. Ich sehe Bilder aus Anatomiebüchern, Krankheiten, ich erhalte die Zukunft eines alternden Körpers, ich erlebe die Spannung, die dadurch entsteht, daß ich glaube, auf diesen Körper aufpassen zu müssen, ihn am Leben erhalten zu müssen.

Wer wäre ich, wenn ich nicht glauben würde, daß da ein Körper ist? – und ich werde nicht gebeten, diese Überzeugung aufzugeben.

Ich wäre einfach nur frei, ich wäre eins mit dem, was ist, mit diesem Ton, mit dieser Bewegung. Ich würde mich nicht mehr sorgen, ich würde mich entspannen. Ich würde verschwinden in dem wunderschönen Geschehen ringsumher. Ich würde mich nicht mehr als getrennt empfinden. Diese Leiden, diese dauernde Anspannung würden aufhören, einfach so.
Ich würde wissen, da ist nur noch Schönheit – ich würde mit dem Ganzen verschmelzen.

Erst nach langer Zeit wandere ich zurück zur Straße, fühle mich leicht wie ein Feder. Ich versprühe meinen Wasservorrat über den grünen Büschen wie ein Priester, der sein Weihwasser verspritzt – trotz der vielen leeren Dosen, Plastiktüten, Papierfetzen zerknülle ich die Plastikflasche und stecke sie in die Tasche. Ich mag mich, wenn ich nichts wegwerfe. Das Gewicht der Flasche geht dorthin zurück, wo es herkam, ich brauche kein Wasser mehr, die Pflanzen mögen sich seiner erfreuen. Ich spüre keinen Hunger, keine Müdigkeit.

An der Straße schwenke ich meinen Anhalterdaumen, eine Frau winkt zurück, fährt aber weiter. Nach einigen Minuten kommt sie zurück, lädt mich ein, mitzufahren. Sie bringt mich genau dorthin, wo ich hinwill. Sie ist eine einfache Frau aus Barstow.
Ich bin noch nie im Leben woanders gewesen. Ich brauche nirgendwohin zu gehen. Ich führe die kleine Kirche da hinten! Sie strahlt über das ganze Gesicht, da ist mehr als eine physische Veränderung ihrer Gesichtsmuskulatur.
Das winzige Gebäude mit dem unbeholfen wirkenden Holzkreuz und den bunten Lämpchen hatte ich gesehen. Der Spruch über der Tür war mir besonders aufgefallen: Es gibt kein Glaubensbekenntnis, nur Gott, es gibt kein Gesetz, nur Jesus.
Ihr Lächeln ist sehr sehr breit, als ich das zitiere. Preist auch du Gott?

Ich: O ja. Ich war in der Wüste und habe gerade festgestellt, die Berge, die Pflanzen, der Wind, alles ist Gott!

Sie strahlt über und über. Du weißt es auch? Gerade jetzt ist der Heilige Geist über mich gekommen! Gepriesen sei der Herr!

Ich: Ich preise den Herrn.

Sie: O Lord! Mein Name ist Marie Anne!

Ich: Oh, so bist du die Mutter des Herrn! Und gleichzeitig bist du ... es gab doch sicher auch eine Anna in der Bibel?

Sie: So habe ich es noch nie gesehen, ich dachte immer, meine Schwester Rose hätte den schöneren Namen ...

Zum Abschied streiche ich ihr übers Gesicht und übers Haar, sie lädt mich zum Gottesdienst am Sonntag ein.

PS: Am Abend sitze ich mit meinem neuen Freund Doni in einem wunderbaren italienischen Restaurant. Die Pizza mit Namen Godfather kann ich nur wärmstens empfehlen.

Moritz Boerner

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